Italien war auch im 18. und 19. Jahrhundert noch immer das Hauptland der Gemmenschneider, in Neapel, Mailand und Rom arbeiteten hervorragende Graveure, von denen ich einige nennen möchte: Niccolo Amastini (1780–1851), Giuseppe Cerbara (1770-1856), Giuseppe Girometti (1780-1851), Niccolo Morelli (1771-1838), Giovanni Antonio Santarelli (1759-1826), Luigi Saulini (1819–1883 ), Tommaso Cades (1831-1868), und Benedetto Pistrucci (1789-1855), der 1814 nach London übersiedelte und dort sehr erfolgreich den Beruf des Gemmenschneiders ausübte.
Benedetto Pistrucci
Neben den Gemmen dieser Zeit, die auf eigenständigen Entwürfen beruhen, gibt es auch viele, die nach antiken Vorbildern kopiert wurden. Wie schwierig es ist, antike Gemmen von Neuzeitlichen zu unterscheiden, zeigt diese Anekdote:
Richard Payne Knight (1751-1824), ein renommierter Kenner und Sammler, kaufte 1812 den "Flora-Kameo“ in London von einem italienischen Händler als antikes Stück. Benedetto Pistrucci (1784-1855) machte jedoch später geltend, dass er den Kameo graviert habe. Payne Knight wollte diese Behauptung nicht glauben und forderte Pistrucci auf eine Kopie herzustellen, was dieser auch tat. Die aus diesem Vorgang resultierende Publizität machte Pistrucci berühmt.
Auch der in Rom geborene Giovanni Calandrelli (1784-1853), der 1832 nach Berlin zog um am Gewerbe-Institut drei Jahre lang Unterricht für 3 Schüler zu erteilen, gehörte zu denen, die ihre Kunst beherrschten. Viele jedoch benutzten ihre Fähigkeiten, die man in Nachahmung der Antike erreicht hatte, zu Fälschungen.
Ein Schock ging durch die Sammlerwelt, als E. H. Toelken, Directorialassistent am Antiquarium des Königlichen Museums zu Berlin, der sich ausführlich mit der Sammlung Poniatowski auseinandergesetzt hatte, ein vernichtendes Urteil über diese Sammlung abgab. 1832 schrieb er: „Wir haben es hier, - es thut uns leid, die harte Anklage auszusprechen! – in Werken und Worten eine wissentliche Betrügerei vor uns, die in solcher Ausdehnung bis jetzt in der Kunstgeschichte noch nicht vorgekommen ist“ (1).
Was war geschehen, Prinz Stanislas Poniatowski (1754 -1833), der Neffe des letzten polnischen Königs Stanislas August und dessen designierter Thronfolger, siedelte 1795 nach Rom über und baute, neben der von seinem Onkel geerbten, aus 150 Stücken bestehenden Sammlung, eine weitere Sammlung auf. Diese Gemmensammlungen bestand aus 2601 Stück, darunter 1737 mit Künstlersignaturen. Kurz vor seinem Tode wurde diese Sammlung als Privatdruck publiziert:
Cataloge des Pierres Gravées Antiques de S. A. le Prince Stanislas Poniatowski.Alle Gemmen waren von hervorragender Qualität und viele mit wunderbar ausgearbeiteten Signaturen versehen – jedoch waren alle Arbeiten gefälscht. Der Fürst hatte offenbar diverse geschickte zeitgenössische Steinschneider mit der Anfertigung der "antiken" Gemmen beauftragt.
Diese Fälschungen haben es mit verschuldet, dass darauf hin das Interesse an den antiken Steinen und an Gemmen im allgemeinen abnahm.
Karneol Intaglio von Giovanni Calandrelli
für den polnischen Prinzen Stanislas Poniatowski. Um 1820 gefertigt.
Photo © Victoria and Albert Museum, London
Welche Auswirkungen dieser Skandal von 1832 hatte, lässt sich an der Zahl der in Rom arbeitenden Graveure ablesen. Während im Jahre 1824 in Rom 42 Gemmenschneider arbeiteten - diese Zahl stieg bis auf 77 im Jahre 1830 an – , gab es 1856 nur noch 7 Gemmenwerkstätten in Rom, von denen 5 bereits die Produktion auf die – 1820 erstmals produzierten - preiswerteren und einfacher herzustellenden Muschelkameen umgestellt hatten (2).
Die großen Künstler unter den italienischen Gemmenschneidern hatten in dieser Zeit bereits ihre Werkstätten nach Paris verlegt, denn hier wurden Preise für hochwertige Kameen bezahlt die in Italien nicht zu erzielen waren (3). Die gut erhaltenen Abgüsse aus dieser Zeit zeigen, dass auf einem hohen Niveau gearbeitet wurde.
Gipsabgüsse aus Paris
Paris hatte sich Mitte des 19. Jahrhunderts als das Zentrum des Kameenschnitts etabliert. Hier arbeiteten auch die französischen Graveure Félix Emile Gaulard (1842 - 1924), Alphons David (1828 - 1895) , Georges Lemaire (1853-1914), Henri François (1841-1896), Georges Tonnellier (1858-1937), Gustave Alexandre Lambert (1856-1940), Bernard Frédéric Hildebrand (1842-1903), Auguste Alfred Vaudet (1838-1914), Paul-Charles Galbrunner (1823-1905) – ein Schüler von Charles Gauthier, der aus Deutschland stammende Georges Bissinger und viele andere.
Georges Henri Lemaire 1888
"Flora und Zephyr"
Zwei Bronze Medaillen von Georges Lemaire. Ca. 1900
Georges Lemaire. 1901
"Frühling"
Henri Louis François
Unvollendet ca. 1895
Daphnis und Chloe
9 x 13 cm
Henri Louis François
Die Quelle nach Ingres
9 x 4,5 cm
Henri Louis François
Georges Tonnellier
Gustave Alexandre Lambert, 1898
"Die Quelle und der Bach"
Bernard Frédéric Hildebrand, 1893
"Perseus und Andromeda"
80 x 60 mm
Adolphe David 1890
"Die Ziege Amalthea"
1868 wurden in Paris 24 Ateliers gezählt, in denen 180 Arbeiter- viele stammten aus Idar-Oberstein - beschäftigt waren. Das Aufschwung der Steinschneidekunst in Paris ist auch darauf zurückzuführen, dass in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts große Mengen der einst so seltenen Lagenachate jetzt aus Südamerika, aus Brasilien in Idar-Oberstein eintrafen, dort geschliffen, gefärbt und gebrannt und als Kameensteine nach Paris geliefert wurden. Inzwischen waren die meisten Ateliers in Paris dazu übergegangen, Kameen - von denen viele nach Nordamerika verkauft wurden - in Serie zu produzieren, worunter die künstlerische Qualität natürlich stark litt. Der Qualitätsverlust führte auch dazu, dass viele, meist ehemalige Schüler der „Académie des Beaux-Arts“, die jahrelang zu den Künstlern zählten, von der Liste der Künstler gestrichen wurden.
Lagenachate aus Idar-Oberstein, um1900 gefertigt.
1. Gertrud Platz-Horster: Zeichnungen und Gemmen des Giovanni Calandrelli in der Antikensammlung Berlin, Berlin 2005
2. L. Pirzio Biroli Stefanelli: Del cammeo e del incisione in pietra dure e tennere in Roma del XIX secolo, Rom 1998
3. G.Lange: Die Geschichte der Achatindustrie, Kreuznach 1868
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